Atommüll unter den Bözberg

Atommüll unter den Bözberg. Der Besuch der Bundesrätin.

Heerscharen von Beamten, Experten, Angestellten, Politikern, Kommunikatoren, Gremien und Mitwirkenden tummeln sich im Dunstkreis der radioaktiven Abfälle. Der Bözberg, der ohne jeden geografischen Bezug als „Standortregion Jura Ost“ bezeichnet wird, steht im Fokus für „vertiefte Untersuchungen für ein geologisches Tiefenlager“. Die Untersuchungen reichen allerdings noch nicht sehr tief. Sie beschränken sich zur Zeit auf ein bisschen Oberflächenseismik: Der Bözberg wird geschüttelt und die Echos aus der unsichtbaren Tiefe werden nachfolgend von Experten interpretiert und diskutiert.

Die radioaktiven Abfälle im Zwischenlager Würenlingen und bei den Atomkraftwerken mehren sich. Unbesehen ihrer immens langen Strahlungskraft verändern sich Gesellschaft und Umfeld sehr rasch. Öl- und Energiepreise bewegen sich auf rekordtiefem Niveau. Die alten Atomkraftwerke altern ebenso wie ein 40-jähriges Auto. Weder ihr Betrieb noch die Erneuerung sind heute wirtschaftlich machbar. Die Rückstellungen (Geld) für ein unermesslich teures „geologisches Tiefenlager“ fehlen den Verursachern. Der Gesellschaft, den Strom- und Steuerzahlern, bleiben der praktisch ewig strahlende Atommüll erhalten. Und das in Mitten der wachsenden Kantone Zürich und Aargau. Interessanterweise sind diese Kantone auch die Mehrheitsaktionäre der grössten Produzentin für Atommüll in der Schweiz (Axpo AG).

Grundsätzliche Fragen, die auf einer aktuellen Beurteilung der Lage basieren, werden heute nicht mehr gestellt. Seit 40 Jahren sucht die Nagra aufgrund der politisch-gesetzlichen Verpflichtungen der Produzenten nach einer Lösung. Die heute vorliegende Idee mit den beiden Standortregionen „Jura Ost“ und „Zürich Nordost“ ist äusserst dürftig und kaum die bisher verpulverten 1,5 Milliarden Franken wert. Niemand ausser der Nagra käme auf die Lösungsvariante „Geologisches Tiefenlager“ im jungen Alpenbogen und im Wasserschloss Europas: Jede Havarie hätte gravierende Auswirkungen auf die Flüsse. Radioaktiv verseuchtes Wasser bis ins Meer wäre die Folge.

Die Nagra und ihre Auftraggeber nähren sich dem Ende ihrer bisherigen Tätigkeiten zu. Das letzte Themenheft zur nuklearen Entsorgung „Langzeitsicherheit – die Hauptaufgabe der Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle“ (Nagra, Oktober 2015) ist ein Musterbeispiel für ablenkende Kommunikation unter konsequenter Ausblendung von einschränkenden Realitäten. „Das Ganze Halt“ wäre das einzig Vernünftige. Aufgrund der unzähligen eingefädelten Vorgehensweisen und den attraktiven Verdienst- und Verwedelungsmöglichkeiten, werden sowohl der Bund als auch die Atommüllproduzenten und ihre Profiteure sich hüten, die laufenden Aktivitäten zu stoppen. Berichte, Durchhalteparolen, Rahmenbewilligungen, Politiker und Experten aller Art halten das Geschäft so im Gang, dass nie jemand die Verantwortung wird übernehmen müssen. Für die vorhandenen und weiter produzierten radioaktiven Abfälle gibt es keine „nukleare Entsorgung“: Möglich ist nur eine Lagerung. Die Sorgen werden bleiben.

Die Bevölkerung rund um den Bözberg nimmt nur am Rande von den Aktivitäten Kenntnis. Die Rollen sind verteilt, die Plakate hängen und der normale Alltag plätschert vor sich hin. Eine ausgewählte Schar von bezahlten Mitgliedern ist in der Regionalkonferenz Jura Ost beteiligt. Sie haben keine Verantwortung, vertreten niemanden und haben sich gegen aussen zum Schweigen verpflichtet. Damit die Sache Tiefenlager publizistisch nicht ganz einschläft, wird die sympathische Bundesräten Doris Leuthard einen „Besuch in der Standortregion Jura Ost“ machen: Lassen sie sich das Referat „Wohin mit den radioaktiven Abfällen?“ nicht entgehen. Die öffentliche Veranstaltung findet statt: Mittwoch, 18. November 2015, 19 Uhr, Brugg-Windisch, Campussaal, Bahnhofstrasse 6, Gaswerkstrasse, Windisch. Im engeren Perimeter des vorgesehen Tiefenlagers Jura Ost (gemäss Nagra nur die Gemeinden um den Bözberg) wird kaum Werbung für den Anlass gemacht. Windisch ist sicher froh, wenn der Campussaal gewinnbringend vermietet werden kann. Die Teilnehmer unter der Moderation des bekannten Fernsehmannes Urs Wiedmer erhalten Gelegenheit, mit vorgefertigten Folien die Güte der Verfahren zu dokumentieren. Herr Regierungsrat Attiger wird die Axpo und den Aargau loben und Sicherheit über alles zelebrieren. Ueli Müller und Thomas Ernst werden das für die Regionalkonferenz Jura Ost (stellvertretend aber ohne Mandat von der Bevölkerung) und die Nagra tun. Ein Kandidat für die kommende Ständeratswahl erhält nochmals Gelegenheit für einen öffentlichen Auftritt. Eintritt frei. Viel Vergnügen.

Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
Erschienen im Blog Textatelier Hess von Biberstein, 2015

Beitragsbild: Der Anlass im Campussaal Windisch am 18.11.2015

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